Die Frage, wie moderne Fahrerassistenzsysteme sowie teil-, hoch- und vollautomatisiert gesteuerte Fahrzeuge der Level 3 bis 5 ihre Tauglichkeit für den öffentlichen Straßenverkehr nachweisen sollen, beschäftigt weltweit Gesetzgeber, Verkehrsgerichte, Verbraucherschützer, Versicherungen und nicht zuletzt die Automobilindustrie und deren Zulieferer.
Für Dierk Arp, Geschäftsführer von MESSRING, seit Jahrzehnten Weltmarktführer für Crashtestanlagen und deren Komponenten, steht angesichts der aktuellen Entwicklungen und ersten tödlichen Unfällen in den USA fest: “Wir müssen intensiv daran arbeiten, dass Roboterautos und Active-Safety-Systeme ihre Zuverlässigkeit vermehrt in realitätsnahen Testversuchen abseits öffentlicher Straßen nachweisen können.” Schließlich würden öffentliche Fehlschläge wie jüngst in den USA nicht nur das Vertrauen der Käufer in die betroffenen Hersteller schwächen, sie gehen seiner Ansicht nach auch zu Lasten der Akzeptanz für autonomes Fahren allgemein.
Um mit den Anforderungen Schritt halten zu können, die Automobilunternehmen, Sensorhersteller und andere Zulieferer stellen, hat Arp sein Unternehmen neu aufgestellt. Anfang des Jahres gründete MESSRING das Tochterunternehmen MESSRING Active Safety, das sich ausschließlich damit beschäftigt, die Testmöglichkeiten im Bereich der aktiven Sicherheitssysteme zu erweitern. “In Zusammenarbeit mit OEMs, Forschungseinrichtungen und Spezialanbietern entwickeln wir hier die Lösungen der Zukunft”, so Arp. Das neue Unternehmen kann auf alle Ressourcen der MESSRING-Unternehmensgruppe zurückgreifen, agiert darüber hinaus jedoch autonom und profitiert vom speziellen Know how der Mitarbeiter und den kurzen Entscheidungswegen innerhalb eines kleinen, aber hoch spezialisierten Teams.
Im Auftrag eines Automobilherstellers arbeitet das Active-Safety-Team von MESSRING aktuell beispielsweise an einer neuartigen Bewegungsmaschine (6D Target Mover), in die verschiedene bewegliche Objekte wie Fußgänger-Dummys oder nachgebildete Fahrradfahrer für Testversuche eingehängt werden können. Der Target Mover kann das Verhalten dieser ungeschützten Verkehrsteilnehmer reproduzieren und bietet damit die Möglichkeit, die Reaktionen eines (teil-)autonom gesteuerten Fahrzeugs oder aktiven Sicherheitssystems in realen und kritischen Situationen zu erproben und zu testen.
Nach den Vorstellungen der MESSRING-Ingenieure ersetzt der neue Mover die bislang von verschiedenen Anwendern eingesetzten Traversensysteme und Plattformen aus Metall, auf die Dummys und andere Targets bisher platziert wurden. Der Vorteil des neuen Modells von MESSRING: Es greift den Prüfkörper von oben und bietet im Gegensatz zu bodengeführten Systemen die Möglichkeit, auch auf unebenem Untergrund wie zum Beispiel Kopfsteinpflaster, Straßenbahnschienen oder Kanaldeckeln zu testen, wo auftretende Erschütterungen und Vibrationen die Sensoren beeinflussen können. Die Einschränkungen, die sich durch den Einsatz des Movers im Detektionsbereich ergeben, sind dabei so gering wie bei keinem anderen System.
Die Flexibilität und Bewegungsfreiheit des 6D Target Movers macht entwicklungsbegleitende Tests möglich, die weit über bisherige Standards hinausgehen. “Mit dem neuen Mover können wir zum Beispiel deutlich komplexere Gefahrensituationen nachstellen als bisher”, so Doric. Dazu zählt er etwa das Szenario, in dem ein Fußgänger zunächst parallel zur Fahrbahn auf einem Gehweg entlang schlendert, um dann plötzlich den Schritt von der Bordsteinkante herab auf die Fahrbahn zu machen und in hohem Tempo vor einem herannahenden Fahrzeug über die Strasse zu rennen. Für solche und ähnliche Testversuche muss der neuartige Target Mover lediglich über die eingebaute Software mit entsprechenden Bewegungsdaten gefüttert werden – je detailschärfer, umso besser. Selbst Determinanten wie der initiale Brustwinkel nach dem Schritt auf die Fahrbahn, aus dem sich das spätere Tempo des Fußgängers errechnen lässt, können präzise vorgegeben werden. Geplant ist, dass MESSRING Bewegungsdaten für ausgewählte Szenarien künftig im Menü bereits mitliefert. Darüber hinaus können Anwender den Mover aber auch mit eigenen Daten betreiben, die sie etwa über GPS generieren. Eine Vielzahl von Testszenarien lässt sich somit erfassen und programmieren.
Einen ähnlichen Quantensprung plant MESSRING mit der Einführung einer neuen Fußgängerpuppe, die das Team ebenfalls im Kundenauftrag gemeinsam mit dem Target Mover auf den Markt bringt. Der neue Dummy bildet die Bewegungsmuster eines Fußgängers so detailiert ab wie kein anderes Modell bislang. Im aktuellen Stadium der Entwicklung kann er je nach Anforderung zwischen 10 und 21 Muskelgruppen für die Bewegung der Extremitäten und des Kopfes aktivieren. Im Zusammenspiel mit dem Target Mover können verschiedene Gang-Arten, vom langsamen Schlendern bis zum hektischen Schreiten und schnellen Laufen, abgerufen werden. Selbst Frequenzwechsel bis hin zum Humpeln oder Hinken sind möglich. Wie viel Potenzial in dem neuen Konzept steckt, will MESSRING in einer zweiten Ausbaustufe zeigen. Dann soll die Puppe mit dem aus Videospielen, der Filmproduktion oder der Sport- und Biomechanik bekannten Motion-Capture-System ausgestattet werden. Damit können Bewegungen einer realen Person erfasst, digitalisiert und auf die Puppe übertragen werden. Die Auslieferung des ersten Target Movers an den Kunden ist bereits in wenigen Wochen geplant. Spätestens Mitte 2019 soll dann auch der neue Fußgänger-Dummy marktreif sein. Für Arp ein echter Meilenstein in der Geschichte von MESSRING, das 2018 sein 50-jähriges Bestehen feiert. “Mit diesem Testsystem erweitern wir einerseits die Möglichkeiten im Bereich Active-Safety-Testing”, so Arp, “wir stellen damit auch unsere besonderen Möglichkeiten in diesem Marktsegment unter Beweis.”
Wie vielseitig diese Möglichkeiten sind, zeigt ein weiteres Projekt. Neben den ungeschützten Verkehrsteilnehmern beschäftigt sich das Team von MESSRING Active Safety verstärkt auch damit, verschiedene Umwelteinflüsse wie Regen oder Nebel sowie Blendeffekte und Nachtsituationen für Testversuche präzise und jederzeit reproduzierbar herzustellen. Auch hier kommen dem Team Erfahrungen von CARISSMA zugute.
Für das Testzentrum hatte Doric bereits eine Indoor-Regenanlage entwickelt. Sie ermöglicht Testversuche mit Notbremsassistenten auch unter dem Einfluss von Niesel- oder Starkregen. Im nächsten Schritt will man nun Nachtsituationen nachstellen. Dabei soll es nicht nur darum gehen, den Testbereich komplett zu verdunkeln, auch der Einfluss verschiedener Straßenbeleuchtungen, unterschiedlicher Lichtfarben oder von flackerndem Licht in verschiedenen Frequenzen soll untersucht werden. Realitätsnah, praxis- und lösungsorientiert, so will MESSRING die Möglichkeiten für Testversuche mit aktiven Sicherheitssystemen Stück für Stück erweitern. Dabei legt man großen Wert auf die enge Zusammenarbeit mit OEMs und deren Zulieferer, um gezielt für die Bedürfnisse der Tester und Entwickler von Autonomen Fahrzeugen zu produzieren. Ein Ziel hat Arp dabei immer vor Augen: “Wir wollen im Bereich Active-Safety-Testing das werden, was wir in der passiven Sicherheit schon sind: Der führende System- und Komplettanbieter.”